Wertevermittlung beginnt nicht erst in den Unternehmen

Wenn wir die Zukunft besser gestalten wollen als die Vergangenheit, dann müssen wir mit der Wertevermittlung bei unseren Kindern beginnen.

Wir sollten allerdings möglichst schnell damit beginnen, unsere Kinder nicht mehr mit den Methoden der Industrialisierung fit zu machen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Wir benötigen eine neue Lernkultur. Zu der sollte die Vermittlung von Werten fest dazu gehören. Denn Werte sind ein wichtiger und bestimmender innerer Kompass auf dem Weg in das Erwachsenenleben.

 

Wertevermittlung beginnt im Alltag

Kinder orientieren sich an ihnen nahestehenden Menschen. Das sind in der Regel Eltern, Großeltern oder auch Erzieher und Erzieherinnen im Kindergarten oder in der Schule. Sie nehmen an, was ihnen von diesen Personen vorgelebt wird. Wertevermittlung – oder besser Wertebildung – geschieht im Alltag. Sobald Kinder in der Lage sind eigene Reflexionen anzustellen, wählen sie aktiv aus, was sie gut finden und was nicht. Die Art und Weise, wie Kinder Erwachsene wahrnehmen und welche Erfahrungen sie in ihrem Umfeld machen, beeinflusst ihre Werteorientierung. Es hat maßgeblichen Einfluss auf ihre spätere Lebenseinstellung.

Unter diesem Aspekt betrachtet taugt unser Schulsystem nicht dazu, Kinder auf die Anforderungen des 21. Jahrhunderts vorzubereiten. Wir stellen uns immer die Frage, wie Kinder zeitgemäß unterrichtet werden können. Wir stellen aber nicht in Frage, ob die Strukturen in unseren Schulen noch zeitgemäß sind. Das Gleiche gilt für die Werte, die hier vertreten werden. Unser Schulsystem basiert immer noch auf der industriellen Ökonomie des ausklingenden 19. Jahrhunderts. Das öffentliche Schulsystem wurde nicht nur im Interesse der Industrialisierung geschaffen, sondern auch nach ihrem Bilde. In vieler Hinsicht waren und sind die Schulen ein Spiegel der Fabrikkultur, der sie dienen sollten.

 

Schule = Fabrik?

Gerade in den weiterführenden Schulen beruht die Ausbildung immer noch auf den Grundsätzen der Fließbandarbeit und einer effizienten Arbeitsteilung. Das ist ganz im Sinne des Taylorismus.[1] Der eine Lehrer paukt den Schülern Mathe ein, der andere Geschichte, der nächste Sprachen. Der Tag ist gegliedert in standardisierte Zeiteinheiten. Diese sind durch ein Glockenzeichen voneinander getrennt. Ganz ähnlich dem Signal, das früher in einer Fabrik Arbeitsbeginn und -ende und die Pausen anzeigte. Die Schüler werden in altersabhängigen Gruppen unterrichtet, als wäre ihre wichtigste Gemeinsamkeit ihr Herstellungsdatum. Zu festgelegten Zeiten werden ihnen einheitliche Tests vorgelegt, die sie miteinander vergleichen. Auf dieser Basis werden sie in den Markt entlassen.

Wer dieser Normierung nicht standhält, weil er beispielsweise Legastheniker ist, fällt durch das Raster. Oder wird Millionär, so wie Richard Branson, der Gründer des Virgin-Imperiums. Er kam mit dem Schulsystem nicht klar und galt nach den gängigen Maßstäben als Schulversager. Als er sechzehn Jahre alt war, sagte sein Schulleiter über etwas bemerkenswertes über ihn. »Richard wird mit einundzwanzig entweder im Knast oder Millionär sein; das eine ist so wahrscheinlich wie das andere.«[2] Und nur wenige haben so viel Mut wie Bobby DeKeyser, der Gründer von Dedon. Mit fünfzehn Jahren stand er mitten im Unterricht auf und ging. »Das ist nichts für mich, ich werde jetzt Fußballprofi.« DeKeyser ging hinaus, meldete sich beim Direktor ab und wurde Fußballprofi.[3]

 

Eigenständiges Denken fördern!

Viele Bildungsansätze ersticken einen der wichtigsten Werte, den junge Menschen heute benötigen, um sich in der anspruchsvollen Welt des 21. Jahrhunderts zu behaupten. Die Fähigkeit zum eigenständigen und kreativen Denken wird ihnen vor allem in der Schule genommen. Sir Ken Robinson[4] vertritt die Meinung, dass Kinder nicht in die Kreativität hineinwachsen, sondern aus ihr heraus. Oder anders gesagt, sie werden heraus unterrichtet.[5] Dazu kommt, dass Kinder lernen, keine Fehler machen zu dürfen. Und da sind wir wieder bei den Unternehmen, denn auch dort werden Fehler regelmäßig eher bestraft. So setzt sich vieles, was in den Elternhäusern, Kindergärten und Schulen begonnen hat, in den Unternehmen fort. Fehler werden vermieden, um nicht negativ aufzufallen. Allerdings traut sich auch keiner mehr, etwas Neues zu wagen.

Aber Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit im 21. Jahrhundert sind auf genau die Qualitäten angewiesen, die unser Schulsystem einstampft. Wir dürfen unseren Kindern nicht mehr die Lust am Lernen. Wir dürfen sie aus ihrer angeborenen Kreativität nicht mehr »heraus unterrichten«. Und wir müssen ihnen wichtige Werte richtig vermittelen. Sonst wiederholt sich alles später in den Unternehmensstrukturen oder den öffentlichen Einrichtungen. Der Kreislauf setzt sich endlos fort.[6] Diesen Kreislauf müssen wir dringend durchbrechen, wenn wir mit unseren Unternehmen zukunftsfähig bleiben wollen.

 

Anmerkungen:

[1] Als Taylorismus bezeichnet man das von dem US-Amerikaner Frederick Winslow Taylor (1856–1915) begründete Prinzip einer Prozesssteuerung von Arbeitsabläufen, die von einem auf Arbeitsstudien gestützten und arbeitsvorbereitenden Management detailliert vorgeschrieben werden.

[2] Sir Ken Robinson, In meinem Element, Seite 289. Hier bei Amazon (kein Affiliate-Link!)

[3] Unverkäuflich! Schulabrecher, Fussballprofi, Weltunternehmer – die völlig verrückte Geschichte von Bobby Dekeyser. Hier bei Amazon (kein Affiliate-Link!)

[4] Sir Ken Robinson ist ein britischer Autor und ein international renommierter Persönlichkeitstrainer. Er arbeitet für Regierungen in Europa und Asien, für Großkonzerne und einige der bedeutendsten Non-Profit-Organisationen der Welt. Er wird als Berater in der Gesellschaftsentwicklung international geachtet. Lesenswerte Bücher von ihm sind unter anderem In meinem Element. Wie wir von erfolgreichen Menschen lernen können, unser Potenzial zu entdecken, Goldmann, München 2010, und Begeistert leben. Die Kraft des Unentdeckten, Ecowin, Salzburg 2014.

[5] https://www.ted.com/talks/ken_robinson_says_schools_kill_creativity?language=de#t-365110.

[6] Sir Ken Robinson, In meinem Element, Seite 31ff.

Mehr zum Thema Werte schärfen finden Sie hier.