Konstruktiver Journalismus:

Im Gespräch mit Ellen Heinrichs vom Bonn Institute

 

Negative Schlagzeilen oder konstruktiver Dialog?

Wie sollen wir zuversichtlich sein, wenn wir denken, die Welt gehe den Bach hinunter?! Tatsächlich schätzen Menschen quer durch alle sozialen Schichten, Länder und Kulturen die Entwicklungen auf der Welt um ein Vielfaches schlechter ein als sie sind.

Dass das so ist, ist eine Frage der verfügbaren Informationen. Unsere Informationsquellen – die sozialen, aber auch die klassischen redaktionellen Medien – lassen uns an allen Katastrophen der Welt, unfruchtbaren politischen Diskussionen, kriminellem Verhalten etc. mehr oder weniger live teilnehmen. Und dann? Bleiben wir oftmals hilflos und alles andere als zuversichtlich zurück.

Aber auch in diese Kultur der negativen Nachrichten kommt Bewegung! Ich bin ganz begeistert von der Bewegung »Konstruktiver Journalismus«. Hier wird die Rolle journalistischer Arbeit kritisch hinterfragt: Decken wir – wie der klassische investigative Journalismus – Missstände auf und lassen die Menschen dann damit allein oder schaffen wir einen Mehrwert für die Menschen und stärken unsere demokratische Gesellschaft?

Über diesen Ansatz habe ich mit Ellen Heinrichs gesprochen, der Gründerin und Leiterin des Bonner Instituts für Journalismus und konstruktiven Dialog. Sie sagt

»Die Menschen wollen mehr als Krawall!«

 

Sonja Schöntauf: Liebe Ellen, wir sind zu Gast im Bonn Institute für Journalismus und konstruktiven Dialog. Mit welcher Intention hast du dieses Institut vor anderthalb Jahren gegründet?

Ellen Heinrichs: Wir stellen fest, dass immer mehr Menschen Nachrichten meiden, in Deutschland mehr als ein Drittel der Bevölkerung. Dieser Trend ist weltweit zu beobachten. Eine Demokratie braucht aber gut informierte Bürgerinnen und Bürger. Offenbar geht der Journalismus an den Bedürfnissen vieler Menschen vorbei. Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was Journalistinnen und Journalisten für relevant halten, und dem, was Menschen brauchen.

 

 Was erwarten die Menschen von den klassischen Medien?

Internationale Studien zeigen, dass sie sich einen Blick auf die drängenden Probleme unserer Zeit wünschen. Die Berichterstattung soll aber nicht bei der Beschreibung einer Situation stehen bleiben. Journalistinnen und Journalisten sollen auch nach Lösungen recherchieren. Investigativer Journalismus ist sinnvoll, das haben wir zuletzt bei den Recherchen von Correctiv zum Treffen der extremen Rechten in Potsdam gesehen. Sie hat dazu geführt, dass Millionen Menschen für Demokratie auf die Straße gegangen sind. Jetzt geht es um die Frage: „Was kann ich tun, um die Demokratie weiter zu stützen?“ Konstruktiver Journalismus zeichnet sich dadurch aus, dass er eben nicht stehen bleibt, sondern diese Extrameile geht und faktenbasiert aufzeigt, wie es weitergehen kann. Journalismus soll perspektivenreich, lösungsorientiert und dialogisch sein.

 

Hast Du ein anschauliches Beispiel für konstruktive Berichterstattung und wie sie sich von der gängigen Herangehensweise unterscheidet?

Die meisten Nachrichtensendungen vermitteln mir: Die Welt ist schlecht. Dabei sollte Berichterstattung doch das Ziel haben zu zeigen, was ist. Und da kommt es manchmal auf den Blickwinkel an. Ein Beispiel: Es wird über eine Studie berichtet, nach der die Demokratie in der Corona-Zeit auf der ganzen Welt unter Druck stand, besonders in Afghanistan und Myanmar. Ich kann aber auf Basis derselben Studie auch sagen: Die Demokratie war unter Druck, und am besten hat Rumänien diese Situation gemeistert. Dieser Ansatz lässt die Menschen nicht hilflos, sondern mit einem Mehrwert zurück. Der Bedarf nach Informationen, die zuversichtlich stimmen, ist groß.

 

Die Quoten der »Krawallmedien« sind aber trotzdem gut.

Menschen reagieren nun mal auf negative Nachrichten. Das ist in unserer Psyche so angelegt. Die Push-Notifications auf dem Smartphone sind so konzipiert, dass sie unser Gehirn triggern. Wir möchten keine drohende Gefahr verpassen, und um uns sicher zu sein, klicken wir. Wir fühlen uns danach aber nicht gut.

Studien zeigen, dass Menschen sich aber mehr als Krawall wünschen. Sie wollen einen Mehrwert für ihr Leben. Journalismus ist dann sinnvoll, wenn er uns auf etwas Interessantes hinweist, wir womöglich eine Erkenntnis gewinnen, die uns dabei hilft, Entscheidungen zu treffen. Wir möchten uns gut informiert fühlen oder auch gut unterhalten werden. Das setzt voraus, dass die angebotenen Themen für uns relevant sind und in einer allgemein verständlichen Sprache behandelt werden.

 

Im Moment ist der klassische Journalismus überall und sofort verfügbar, während die konstruktiven Formate noch die Ausnahme sind, die man gezielt suchen oder auf die man aufmerksam gemacht werden muss.

Wir haben in Deutschland zum Glück eine riesige Medienvielfalt, und im Bonn Institute sind wir weit davon entfernt uns zu wünschen, dass alle Medien gleich werden oder die gleichen Konzepte verfolgen. Konstruktiver Journalismus ist nicht nur einfach ein Format, das alle umsetzen sollen, sondern es geht um ein allgemeines Mindset, das sich ändern müsste, dahingehend, dass die Interessen der Menschen, für die wir arbeiten, in den Mittelpunkt gestellt werden. Wir wünschen uns ein neues Verständnis von Journalismus als Dienstleistung für die Gesellschaft.

 

Gerade aus der rechten Szene gibt es die Versuche, die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung durch Verschwörungsgedanken zu zerstören. Wie können wir damit umgehen?

Desinformation und Propaganda sind große Gefahren, die durch die sozialen Medien beschleunigt werden. Umso dringender ist es, Vertrauen aufzubauen zwischen Medienmarken und ihrem Publikum. Wenn die Menschen wissen, wo sie wirklich vertrauenswürdige, faktenbasierte Informationen bekommen, dann haben wir schon viel erreicht gegen Desinformation. Umso wichtiger ist es, dass Medien ihre Rolle im 21. Jahrhundert reflektieren. Vertrauen entsteht durch Beziehung. Hierzu könnten auch neue Formate entwickelt werden, zum Beispiel solche, wo dem Publikum zugehört wird und man im Dialog ist, oder regionale Angebote, bei denen es leichter ist, eine Beziehung zu den Kundinnen und Kunden aufzubauen.

 

Konstruktiver Journalismus wird immer wichtiger!

 

Wie offen sind Journalistinnen und Journalisten dafür, ein neues Mindset einzunehmen? Bleibt man da im Moment noch eher »unter sich« oder sind auch etablierte Redaktionen, zum Beispiel große Verlagshäuser, offen für diese Gedanken?

In Deutschland gibt es um die 50.000 Journalistinnen und Journalisten, und mein Eindruck gilt sicher nicht für alle. Ich kann aber sagen, dass sich im Vergleich zu den Anfängen des konstruktiven Journalismus 2016/17 vieles geändert hat. Anfangs hat man sehr viel Negatives gehört, zum Beispiel: »Sollen wir jetzt alle die rosa Brille aufsetzen?« Das höre ich inzwischen gar nicht mehr.

 

Das Bonn Institute gibt es jetzt seit gut zwei Jahren, und ich habe in dieser Zeit mit unfassbar vielen Redaktionen gesprochen, die mitmachen möchten, also vom Spiegel bis hin zu Perspective Daily, das ganze Spektrum. Die öffentlich-rechtlichen Medien, viele Regionalzeitungen, Anzeigenblätter, Privatradios, große Fernsehsender, die FAZ … Das heißt nicht, dass alle plötzlich konstruktiven Journalismus betreiben, aber alle wollen sich informieren. Diese Offenheit kann auch damit zusammenhängen, wie wir unsere Ansicht kommunizieren, also eher als eine Einladung, nicht als Alternative und höherwertige Form des Journalismus. Das Mindset des konstruktiven Journalismus kann sich vielfältig spiegeln. Wir können uns bei allem, was wir tun, fragen, ob es auf die Interessen und Bedürfnisse des Publikums einzahlt. Das ist eigentlich, was wir erreichen wollen.

Liebe Ellen, diese Bewegung im Journalismus macht mich zuversichtlich. Vielen herzlichen Dank für Deine Zeit!

https://www.bonn-institute.org/

 

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